Wir schreiben den 20. September 2020. In den heutigen Messen wird es mitunter ein spannendes Thema geben. Für heute steht das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg auf dem Programm. Mich hat dieses Gleichnis viele Jahre immer wieder fürchterlich aufgeregt, einfach weil ich es nicht verstanden hatte. So alles in mir hat nicht verstehen wollen, was denn nun daran gerecht sein sollte. Zur Erinnerung: Ein Gutsbesitzer benötigt Arbeiter für die Arbeit des Tages in seinem Weinberg. Er findet die ersten und man einigt sich auf einen Lohn. Die ersten haben direkt am Morgen mit der Arbeit begonnen. Während des Tags kommen zu unterschiedlichen Zeiten immer wieder neue Arbeiter hinzu, die der Gutsbesitzer im Verlauf des Tages im Ort fand. Zuletzt kommen einige hinzu, die gerade mal noch eine Stunde arbeiteten. Am Ende des Tages werden alle entlohnt. Es wird mit denen begonnen, die dem Arbeitstrupp als letzte beigekommen sind und es endet mit jenen, die seit dem frühen Morgen im Weinberg arbeiteten. Sie erhalten alle den gleichen Lohn. Wie bereits erwähnt, viele Jahre habe ich mich aufgeregt über dieses Gleichnis. Wie kann es sein, dass ausgerechnet die, die am längsten arbeiten genau so viel bekommen wie die, die gerade mal eine Stunde gearbeitet haben? Alles in mir, aber wahrlich alles sträubte sich. Das kann doch einfach nicht gerecht sein. Man kann trefflich stundenlang darüber philosophieren und glaubt mir, ich tat es. Wie lange habe ich selber die These vertreten, dass Leistung nicht gleich bewertet werden kann. 10 Stunden Arbeit gegenüber 1 Stunde Arbeit kann doch nicht den gleichen Wert haben. Der Wert der Arbeit, und so weiter und so fort. Eines Tages aber, da machte es plötzlich das berühmte „Klick“ in meinem Kopf.
Der Wert der Arbeit.
Mit einem Schlag rutschen diese vier Worte vor mein Auge - der Wert der Arbeit? Was ist das eigentlich und warum drehen sich unsere Gedanken um den Wert der Arbeit? Ist das überhaupt der richtige Ansatz? Warum bewerte ich die physische Arbeit eigentlich höher als den Menschen, der sie vollzieht? Sollte es nicht eigentlich um letzteren gehen, den Menschen; sollten wir nicht eher vom Wert des Menschen sprechen? Und wenn wir vom Wert des Menschen sprechen, sollten dann nicht alle Menschen gleich viel wert sein? Und genau in der letzten Frage steckt das wertvolle des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg. Im Gleichnis bekommen am Ende der Arbeit alles das gleiche, alle bekommen das, was sie zum Leben brauchen, ein jeder unabhängig von seiner Leistung, denn jeder Mensch ist gleich viel wert. In diesem Gleichnis ist es egal ob Du viel oder wenig leistest, egal wer Du bist, egal wo Du herkommst. In diesem Gleichnis bekommt jeder von Gott die gleiche Chance, die gleiche Liebe geschenkt. Er unterscheidet nicht im Wert des Menschen. Zurück ins Heute: Glauben wir etwa, dass der fromme, tiefgläubige Mensch, jener der jeden Tag in die Kirche geht, in den Augen Gottes mehr wert sei, als eben jener, der spät erst seinen Weg zu ihm findet? Genau das ist unser Problem, wir bewerten die Welt und alles auf ihr und um uns herum immer nach unseren menschlichen Maßstäben. Zu häufig drängen sich Kategorien wie - „Was leistet jener Mensch?“ - „Hat jener Mensch Ausdauer?“ - „Wo kommt jener Mensch her?“ - „Was stellt jener dar?“ - „Ist jener Arm oder Reich?“ - in den Vordergrund, leiten unser Denken, prägen unser Bild von einem Menschen. Schon haben wir unsere persönliche Kommode geöffnet und die vermeintlich passende Schublade gefunden. Gott aber tut genau dieses nicht, bei ihm gelten all unsere Bewertungsmaßstäbe nichts. Für ihn sind wir alle gleich wertvoll. Irgendwie ein ganz schön radikaler Ansatz für uns Menschen, die wir gefangen sind in Leistungssystemen. Wenn man sich aber auf den Leitgedanken dahinter einlässt, ist es alles andere als radikal, dann ist es einfach nur gerecht. Aus genau dieser Erkenntnis kann dann ein persönlicher Auftrag erwachsen - dazu muss ich mir eigentlich auch nur eine einzige Frage stellen: Wo bin ich den Menschen meiner Umgebung bislang ungerecht begegnet? In dieser Frage steckt so viel Arbeit, aber sie lohnt sich (übrigens für alle gleich). Vielleicht etwas konkreter: Wo habe ich Menschen in Schubladen gepackt, ohne sie überhaupt richtig zu kennen? Wo habe ich mich über einen anderen Menschen gestellt? Wo habe ich anderen Menschen keine Chance gegeben? Wo habe ich meine Augen vor der Not anderer verschlossen? Fragen, die einem helfen können, ein bewussteres, ein gerechteres Leben zu führen.
Ein gerechteres Leben im Kleinen wie im Großen.
Jeder in den Schritten die er kann. Denn wenn wir alle gemeinsam kleine Schritte wagen, dann können viele kleine Schritte wahrlich zu einer gerechteren Welt führen.
Dann sehen wir die, die wir ansonsten immer übersehen, vielleicht sogar entwertet haben. Dann haben wir die Kernthese des Arbeiters im Weinberg verstanden. Dann verstehen wir, dass wenn „die Letzten die Ersten sein werden“, niemand überboten oder ausgebotet wird, dann verstehen wir, dass wir alle den gleichen Wert besitzen. Dann wirkt seine Gerechtigkeit in uns und durch uns. Ach, wenn unser eigener Glaube nur viel größer wäre…
Foto © Sascha Nikolas Berger
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