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AutorenbildSascha Nikolas Berger

Zum 09. November

Aktualisiert: 9. Nov. 2020

Deutschland.

Die Nacht vom 09. auf den 10. November 1938.

In dieser Nacht fallen die meisten Hemmungen endgültig.


Ein wilder Mob, staatlich organisiert und gewollt, zieht durch die Straßen unserer Städte.

Sein Ziel sind die Synagogen, sind die Geschäfte unserer jüdischen Mitbürger, sind ihre Wohnungen. Das alles geschieht nicht ungesehen. Viele Menschen sehen zu, greifen nicht ein, stellen sich nicht dagegen. Ab hier gilt der Satz "Wir wußten von all dem nichts" nicht mehr.


Während ich darüber nachdenke, findet ein Text von Gerty Spies unweigerlich seinen Weg zurück in meinen Kopf. Als ich den Text das erste Mal gelesen habe, hat er mich aufgerüttelt, sich eingebrannt, mich aufgewühlt. Auch heute noch bewegt mich dieser Text immer wieder, finde ich mich doch selber so oft an Stellen wieder, an denen ich mich schuldig mache.

Des Unschuldigen Schuld

(Gerty Spies; 13.01.1897 - 10.10.1997) Was ist des Unschuldigen Schuld -

Wo beginnt sie? Sie beginnt da, Wo er gelassen, mit hängenden Armen

Schulterzuckend daneben steht, Den Mantel zugeknöpft, die Zigarette

Angezündet und spricht:

Da kann man nichts machen.

Seht, da beginnt des Unschuldigen

Schuld. [sic]


Deutschland. Die Nacht vom 09. auf den 10. November 1938.

Thorarollen werden auf die Strassen geworfen, getreten, bespuckt, zerrissen, entweiht, geschändet, verbrannt.

Synagogen gehen in Flammen auf.

Geschäfte werden zerstört und geplündert.

Menschen werden getreten, bespuckt, verhaftet. Einige von ihnen sterben bereits in dieser Nacht.

Deutschland.

Die Nacht vom 09. auf den 10. November 1938 Nach dieser Nacht wird es zum System.

Menschen werden verschleppt, in Konzentrationslager gesteckt. Ihnen stehen Gräuel bevor, die wir uns bis heute kaum vorstellen können. Sie werden an Orte verschleppt, die an Grausamkeit und menschlicher Kälte kaum zu beschreiben sind.

Das Ziel: Die Vernichtung allen jüdischen Lebens und aller Menschen jüdischen Glaubens.


Erst brennen die Bücher, dann die Synagogen und Geschäfte, sogar vor der Thora, der Heiligen Schrift unserer jüdischen Mitbürger gibt es keinen Halt. Am Ende brennt der Mensch; der Mensch enthemmt vollkommen. Unendliches Leid, verantwortet von Menschen, wird über andere Menschen geworfen. Menschen, die gestern noch gemeinsam mit uns in der Mitte unserer Gesellschaft standen, sind mit einem Male einfach weg, aus unserer Mitte gerissen, dem Hass preisgegeben, werden getötet und verbrannt. Vernichtung, nichts von ihnen soll übrig bleiben. Das ganze Ausmass dessen ist kaum zu begreifen und dennoch sind wir aufgerufen, es immer wieder in Erinnerung zu holen. Zeitzeugen gibt es bald kaum noch - es ist an uns, die Mahnungen und Warnungen als Erben weiterzutragen. Besonders dieser Tage, wenn sich Nationalismus, Faschismus, Fremdenfeindlichkeit wieder ihre Wege in die Gesellschaft suchen. Wieder ringen Religionen und Kulturen miteinander. Es ist unsere Aufgabe, stets zu warnen und zu mahnen. Wenigstens das sind wir den Opfern schuldig.

Ewiger,

Menschen werden Opfer von Gewalt, Worte und Gedanken werden zu scharfen Waffen. Du hörst die Schreie nach Hilfe, die wir ignorieren. Dir sind diese Schreie nicht egal, Dich lassen sie nicht kalt.


Wir bitten Dich, hilf uns mutiger zu werden.


Gib uns den Mut, uns dazwischen zu stellen, wenn Worte giftig werden, wenn Gedanken böse werden, wenn der Hass sich wieder auf den Weg macht, Menschen auszugrenzen oder gar vernichten zu wollen.


Hilf uns, ein Botschafter Deiner Güte und Deiner Sanftmut zu sein.


Manchmal sind wir so schwach, dass das Gift der anderen uns ansteckt.

Wir sind ignorant und sehen die in Not nicht, wir wenden uns ab vom Offensichtlichen.


Unser Herz ist manchmal kalt.

Wir wollen die, die unsere Hilfe brauchen nicht sehen. Hilf uns besonders in diesen Momenten, den rechten Weg wieder zu finden.


Vergib uns unsere Schwäche.

Hilf uns dabei, uns von all den dunklen Gedanken zu befreien, damit wir Dir endlich aufrichtig und tapfer folgen können.

Amen. Ach, wenn unser eigener Glaube nur viel größer wäre...



Foto © Susanne Zengerly

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