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  • AutorenbildSascha Nikolas Berger

Susanne

Wir begegneten uns das erste Mal in einem katholischen Wohnheim in Mainz. Irgendwie mochten wir uns von Anfang an. Es entspann sich recht schnell eine starke Bindung und Freundschaft. Es waren zwei sehr intensive Jahre des Miteinanders. Susanne hatte die Angewohnheit, mir täglich kleine Zettel an meine Wohnheimzimmertüre zu pinnen. Mal etwas Nettes, mal etwas Freches, mal etwas Belangloses und ab und an auch mal der Hinweis, an welchen Stellen ich weniger Nett gewesen war. Dann trennten sich unsere Wege wieder. So überraschend intensiv wie wir zueinander fanden, so überraschend intensiv war auch die Weggabelung die uns auseinander führte. Susanne wurde Gemeindereferentin und es zog sie in die Heimat zurück. Ich blieb in Mainz, folgte aber meiner inneren Unruhe und flog fortan und permanent beruflich bedingt in aller Herren Länder, aber das ist eine andere Geschichte. Über zwanzig Jahre haben wir uns nicht gesehen oder gehört. Wieso, weshalb, warum? Wir wissen es beide nicht, aber es scheint wichtig für uns und unserer Wege gewesen zu sein. Eines allerdings haben wir in dieser Zeit jeweils nicht verloren - ein “kleines” Buch. Ich habe es damals von Susanne geschenkt bekommen, quasi als Ersatz für die “kleinen Zettel” an der Türe. Viele werden jetzt sicherlich denken “Jo, ein Buch.” Aber es ist nicht nur irgendein Buch, es ist unser gemeinsames Nachdenkbuch. In all der Zeit, in der wir uns nicht sahen oder hörten, war dieses kleine Buch unsere Verbindung und ist es geblieben. Immerhin war es übrigens auch dieses kleine Buch, welches den Impuls lieferte, dass unsere Wege sich wieder kreuzten. Seit dieser Begegnung kommunizieren wir wieder sehr intensiv und regelmäßig und auch ein Treffen hat schon geklappt. So weit so gut, zurück zum “Buch” - für den gestrigen Tag waren nur sieben Worte vorgesehen. Die allerdings hatten es in sich. “So leben, dass andere an mir aufwachen.” Auf den ersten Blick wahrlich wenig Worte, aber zu diesem Satz geformt sind es sieben gewaltige Worte. “So leben, dass andere an mir aufwachen.” Nicht neben mir, nicht wegen mir, nicht über mir, nicht unter mir, nein, an mir. Hier schließt sich für mich der Kreis zur “Vorgeschichte” über Susanne. Natürlich haben wir uns gestern kurz dazu ausgetauscht. Sie bot mir ihren Blick auf die Dinge des Satzes an und bedankte sich bei mir für “ihr aufwachen” an mir. Im ersten Moment war ich perplex und musste nachdenken. Was könnte sie damit wohl gemeint haben? Vor meinem geistigen Auge tauchten immer und immer wieder nur ihre “kleinen Zettel” auf. Für mich sind und waren es diese kleinen Impulse, die mich damals aufwachen ließen, ergo wäre es doch wohl eher mein Part, mich bei ihr zu bedanken. Also fragte ich nach und siehe da, für Susanne sind es manchmal meine Gedanken, Texte, Impulse. Wie schrieb sie gestern so schön: “Es macht mir Freude, mit Dir über Gott und die Welt zu reden und zu schreiben.” Klingt erst einmal wie eine abgedroschene Phrase, in unserem Fall aber stimmt es tatsächlich. Selbst das Bild stimmt, das Bild von Gott und der Welt. Die Gemeindereferentin und der Flugbegleiter. Heute Morgen fällt mir dann auch noch beim ersten Kaffee als Lesevorschlag des Rechners das Markus-Evangelium vor die Augen - Markus 7, 31-36. Und so bekommt mit einem Male alles seinen Sinn. Wir sollten alle viel häufiger und deutlicher miteinander über Gott und die Welt reden. Über unsere Sicht auf die Dinge, über unseren Glauben; nicht nur reden, sondern auch leben. Vorleben. Unser Verständnis von einer gemeinsamen Welt, auf der wir alle miteinander auskommen wollen, auf der jeder einen gerechten Platz hat, auf der wir alle gleich viel wert sind, die miteinander teilt und auf der wir in Frieden miteinander leben wollen. Das fällt mitunter besonders in den jetzigen Zeiten sehr schwer. So vieles prasselt auf einen ein, fast schon möchte man bewegungslos vor dem Elend und der Not auf der Welt kapitulieren, fast schon droht man abzustumpfen, möchte am liebsten die Augen verschließen. Aber genau dann sollte man es eben nicht tun. Genau dann sollte man erzählen; erzählen von Gott und der Welt, sich auftun! Denn dann haben andere Menschen eine echte Chance an uns und unserer Haltung aufzuwachen. Dann haben wir einen Baustein - unseren Baustein - am ewigen Reich gesetzt. In diesem Sinne - Effata - Öffne Dich! Ach, wenn unser eigener Glaube doch nur viel größer wäre...

Foto © Sascha Nikolas Berger

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