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  • AutorenbildSascha Nikolas Berger

Verletzlich?

Letzte Woche, eine Studienwoche in Rottenburg für mich.

Das Thema: "Der Geist ist es, der lebendig macht" - meine Wahlpflichtveranstaltung, ich hatte mich schon die ganze Zeit darauf gefreut. Alleine die Referent_innen versprachen schon eine hohe Qualität.

In Rottenburg angekommen erfuhren wir dann, dass einer der Referenten leider ausgefallen ist. Als Ersatzprogramm stand für den ausgefallenen Tag ein Besuch des Diözesanmuseums im Raum. Im ersten Moment behagte mir das so gar nicht, aber manchmal ändern sich die Dinge eben, so etwas kenne ich aus meinem beruflichen Umfeld nur zu gut.


Und so begann der Ausfalltag also mit dem Besuch des Museums.

In ihm wird derzeit ein Teil eines ausgerufenen Kunstwettbewerbes der Diözese Rottenburg-Stuttgart ausgestellt;


Thema Vulnerable.


Jetzt war mein Interesse geweckt, ein schmerzhaftes Brennen machte sich in mir breit, die eigenen Verletzungen klopfen eben immer mal wieder an, besonders wenn sie getriggert werden. - Eine Ausstellung zum Thema Verletzlichkeit und dann auch noch im kirchlichen Kontext. Mein erster Impuls war:

Der Herr Bischof Fürst ist mutig, ein solches Thema in den heutigen Zeiten, mitten in der Zeit der Offenbarung der gewaltigen Verletzungen die Kirche vollzogen hat und immer noch vollzieht - Respekt. So stürzte ich mich in die Ausstellung und ich wurde wahrlich nicht enttäuscht.


Allein die erste Frage die Bischof Fürst in seinem Grußwort zur Ausstellung stellt, knallt in die Synapsen: "Ist Gott verletzlich?"


Kopfkino vom Allerfeinsten. Gut, diese Frage ist allgegenwärtig, schon in der Antike stritten sich die Menschen um eine Antwort. Auch heute ist diese Frage aktueller denn je.


Ein GOTT der als MENSCH auf die Welt kommt, als Säugling, wie jeder andere MENSCH auch; klein, hilflos, auf die Eltern angewiesen, besonders auf die Mutter, verletzlich. Diese Gedanken setzten sich als erstes im Kopf fest. Mit dieser Hintergrundschablone durch die Ausstellung zu stromern und sich die, von anderen MENSCHEN in Formen und Gedanken gefassten Ausdrücke von Verletzlichkeit anzusehen, war ein sehr intensives Erlebnis.


Noch spannender allerdings waren die Auseinandersetzungen in unserer Studiengruppe.

Da wurde zum Beispiel die Reduzierung einer "Maria Lactans" auf eine einzelne weibliche Brust zu einer Provokation erklärt, ohne zu merken, welch Entwertung der Weiblichkeit bereits in der "Erklärung der Brust als Provokation" stecken kann. Mit einem derart monofokalen Blick offenbaren sich dem Diskutanten dann leider auch nicht mehr die Zugänge zur verborgenen Symbolik, besonders auch im christlichen Sinne, die in dieser Darstellung steckt.


Kunst - sie kann/soll/muss/darf provozieren.

Auch und besonders im kirchlichen Raum.


Richtig heiß wurde die Diskussion über ein Triptychon mit dem Titel


"Mother - Maiden - Whore"


Dazu sollte man wissen, dass die Ausstellung auf zwei Orte verteilt ist. Ein Teil im Diözesanmuseum in Rottenburg, der andere Teil in der Kirche St. Maria in Stuttgart. Das Konzept "St. Maria als..." ist eine eigene Betrachtung wert und ein ganz eigenes Thema. (https://www.kath-kirche-stuttgart.de/service/journal/detail/st-maria-als-preis) Zurück zum Thema. Das oben genannte Triptychon wird wie geschrieben in Stuttgart ausgestellt. Wir haben es in Rottenburg nur als Bild gesehen. Die Diskussion darüber, ob in einer Marienkirche ein solches Triptychon mit den Begriffen "Mutter-Jungfrau-Hure" etwas zu suchen hat, war für mich erschreckend und sehr schwierig. Ich bin der Meinung, dass es gar keinen Grund geben kann, eine solche Auseinandersetzung mit Be- und Entwertungen einer Frau über die gewählten Begrifflichkeiten gegenüber NICHT in einer Kirche auszustellen.

Jedes meiner Pro-Argumente wurde sofort mit einem reflektorischen Contra-Argument belegt, mit jedem jener Contras wurde - meiner Meinung nach - die Freiheit des Denkens enger geschnürt, der sakrale Raum aus Stein überhöht, der Mensch als eigener sakraler Raum immer kleiner und niedriger gerungen. Mir schien, als ob die menschengeschaffene Funktionalität und Reduzierung der Frau auf die drei gewählten Begriffe nicht begriffen wurde; mit jedem Argument welches mir entgegenflog, wurden vor meinem geistigen Auge die Begriffe "Mother-Maiden-Whore" immer größer. Kein leichter aber ein irrer Erlebensmoment. Ich kann diese Ausstellung und die Wirkung die sie entfaltet nur wärmstens empfehlen. Und was hat das nun mit der von Bischof Fürst aufgeworfenen Frage zu tun? Nun, MENSCHEN verletzen MENSCHEN.

Durch Entwertungen, durch Bewertungen, durch Argumente, durch den Willen "gewinnen zu wollen" - besonders in Diskussionen. Es wohnt uns Menschen inne, mal stärker, mal schwächer ausgeprägt. Ich kann mich davon auch nicht freisprechen.


Wenn ich mich als Mensch nun aber als den Tempel Gottes verstehe, zu dem ich als Mensch geschaffen bin und der in mir angelegt ist, wenn Menschen eben auch einen anderen Menschen verletzen können, sei es physisch oder psychisch, dann ist auch Gott verletzlich in meinem Empfinden.


Allerdings hat Gott sich schon lange vom "Nachtragen" verabschiedet.


Sein Gegenkonzept ist die bedingungslose Liebe; so großartig, dass wir sie mit unseren menschlichen Maßstäben nicht begreifen können. In genau jener Liebe ist die nötige Heilung für Verletzung. Welch eine wunderbare, fast schon unbegreifliche Zusage.


Mit dem Blick auf die heutige zweite Lesung zum Tage (Gal. 5,1. 13-16) schliesst sich dann auch ein Kreis für mich in meiner Reflektion und ich kann nur frei nach Paulus festhalten:


Geschwister, bleibt im Geist und mit ihm verbunden, streitet, aber zerfleischt euch nicht.


Lasst uns gemeinsam weiterhin ...


...Wachsen im Glauben.

Photo © Sascha Nikolas Berger




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